Meldung und Untersuchung von gefährlichen Ereignissen im Schienenverkehr
Erstellt am: 28.11.2003 | Stand des Wissens: 12.04.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) schreibt den Eisenbahnen in § 4 Absatz 1 vor, ihren Betrieb sicher zu führen. Aus dieser Vorgabe resultiert nicht nur, "alle notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit zu ergreifen, sondern insbesondere auch, sich mit Schwachstellen auseinanderzusetzen, die sich im täglichen Betriebsgeschehen offenbaren" [AEG, § 4 Abs. 1; Grau01, S. 169]. In diesem Sinne müssen sich die Eisenbahnunternehmen mit den Ursachen gefährlicher Ereignisse beschäftigen, um deren wiederholtes Auftreten zu unterbinden.
Untersuchung von gefährlichen Ereignissen
Mit dem Ziel, "gefährliche Ereignisse zu verhindern und die Eisenbahnsicherheit zu verbessern", sind nach § 2 Abs. 1 und 2 der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsverordnung (EUV) nach schweren Unfällen im Schienenverkehr (das heißt Zugkollisionen oder -entgleisungen mit mindestens einem Todesopfer, fünf Schwerverletzten oder zwei Millionen Euro Schadenshöhe) auch behördliche Untersuchungen durchzuführen [EUV; 2004/49/EG, Art. 3]. Um den Vorgaben der EU-Eisenbahnsicherheitsrichtlinie Folge zu leisten, wurde eigens dafür im Jahr 2017 die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU; ehemals EUB) gegründet. Sie stellt eine von den Akteuren des Schienenverkehrs und der zuständigen nationalen Sicherheitsbehörde unabhängige Institution dar. [BEU24b]
Die BEU fungiert nicht nur bei schweren Unfällen als Untersuchungsbehörde, sondern auch dann, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein gefährliches Ereignis, das heißt ein Unfall mit geringeren als den genannten Schadensfolgen, oder eine Störung zu einem schweren Unfall hätte führen können. Das Schema, nach dem die entsprechende Einstufung und Untersuchung solcher gefährlicher Ereignisse abläuft, ist in Abbildung 1 dargestellt. Bei sonstigen gefährlichen Ereignissen nimmt das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) die erforderlichen Untersuchungsaufgaben wahr. Im Gegensatz zu schweren Unfällen besteht hier allerdings keine gesetzliche Untersuchungspflicht. [BEU24a; BEU24; AEG, § 5; EUV § 2 Abs. 2; Doll12, S. 29 f.]

Die Untersuchung eines gefährlichen Ereignisses lässt sich prinzipiell in zwei Phasen unterteilen:
- die Sachverhaltsermittlung am Ort des Ereignisses und
- die Ursachenermittlung bzw. -forschung auf der Basis der sichergestellten Daten und Unterlagen
[Grau01, S. 172 f.]
Die wesentliche Aufgabe der Sachverhaltsermittlung besteht im Sicherstellen und Dokumentieren aller relevanten Betriebsdaten, bevor diese im weiteren Betriebsablauf überschrieben werden. Neben der Datensicherung wird bei schweren Unfällen eine eigene Sachverhaltsermittlung mit Vorortuntersuchungen, Zeugenbefragung und Bewertung seitens der EUB durchgeführt. Grundsätzlich ist Folgendes für die Sachverhaltsermittlung von großer Bedeutung:
- Kenntnisse des Betriebsprozesses in seiner Gesamtheit,
- Wissen um die Generierung von Daten und
- Unmittelbare Datensicherung zu veranlassen, bevor Datenspeicher durch nachfolgende Ereignisse überschrieben werden.
[Grau01, S. 172 f.]
Die Ursachenermittlung beziehungsweise -forschung hingegen ist ein iterativer Prozess, bei dem zunächst aus den verfügbaren Daten der Ereignishergang nachvollzogen wird. Anhand eines Abgleichs des rekonstruierten Ist-Hergangs eines Ereignisses mit dem Soll-Hergang wird die Ursache ermittelt. Von besonderem Interesse sind dabei etwaige organisatorische Mängel, die sich im Zuge einer eingehenden Prüfung als sekundäre Ursache offenbaren. "Solche organisatorischen Mängel, die mitunter als 'Organverschulden' eher bagatellisiert werden, berühren das Sicherheitssystem Bahn unmittelbar." Sie stehen daher im Mittelpunkt der jeweiligen Untersuchungsaktivitäten [Grau01, S. 171 und 173 f.].
Meldung von gefährlichen Ereignissen
Notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Ermittlungsdurchführung ist das zeitnahe Melden von gefährlichen Ereignissen durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU). Dem jeweiligen EIU obliegt es daher der EUV zufolge, das EBA unverzüglich über sämtliche in seinem Verantwortungsbereich auftretende Ereignisfälle zu informieren. Darüber hinaus hat es die Untersuchungsbehörden durch die Bereitstellung aller benötigter Daten vollumfänglich zu unterstützen [EUV, § 2 Abs. 3 und 4; Kühl07, S. 566]. Im Rahmen einer Allgemeinverfügung konkretisiert die EUB die EIU-seitige Informationspflicht und spezifiziert darin u. a. noch einmal das Spektrum der betrieblichen Vorfälle mit Meldepflicht [EUB09].
Bewertung
Ziel der behördlichen Untersuchungen ist eine Gewährleistung und Verbesserung der Systemsicherheit im Eisenbahnverkehr; es ist nicht ihr Anliegen, Fragen des Verschuldens oder der persönlichen Haftung zu klären [Beck11b, S. 69]. Mit jeder festgestellten Ursache sind daher drei Aspekte verbunden:
- das Ableiten eventuell notwendiger Konsequenzen,
- das Beobachten von Trends anhand signifikanter Parameter,
- das Bewerten der Ursache hinsichtlich des damit verbundenen Risikos als Grundlage für eine vorausschauende Sicherheitsplanung.
[Grau01, S. 174]