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Mehrstufige Tarife

Erstellt am: 18.02.2025 | Stand des Wissens: 18.02.2025

Synthesebericht gehört zu:

Mehrstufige Tarife bestehen aus einer nutzungsunabhängigen Grundgebühr und einer variablen Gebühr in Abhängigkeit von der Nutzung. Dabei kann der Kunde in der Regel selbst wählen, welche Tarifkombination er bevorzugt. Das Angebot mehrstufiger Tarife kommt der unterschiedlich hohen Zahlungsbereitschaft verschiedener Nachfragergruppen entgegen. Kunden, die die Infrastruktur häufig nutzen, können einen Tarif mit hoher Grundgebühr und niedrigen verbrauchsabhängigen Gebühren wählen. Gelegentlichen Nutzern steht ein Tarif ohne oder mit verminderter Grundgebühr, aber mit erhöhter verbrauchsabhängiger Gebühr zur Verfügung. Das ist günstig für die Nutzergruppen und bildet auch die erhöhten Aufwendungen des Betreibers für die Vorhaltung von Kapazität besser ab, die damit eine schwankende Nachfrage besser bedienen können. Hier kann aber auch ein Missverhältnis zwischen Tarifierung und wahrer Kostenstruktur entstehen, so dass eine Regulierung erforderlich sein kann [FrWe07, S. 235]. In diesem Fall subventionieren zahlungsbereitere Kunden die für den Anbieter nicht lohnenden Geschäfte mit weniger zahlungsbereiten. Diese Praxis regt zur häufigen Benutzung der Infrastruktur an, die nicht im Sinne aller Benutzer ist, falls dadurch Stauungen und Kapazitätsengpässe entstehen und diese Mobilitätsnutzen mindern sowie außerdem der Umwelt schaden können.

Mehrstufige Tarife haben gegenüber Ramsey-Preisen den Vorteil, dass keine Kenntnis der Nachfrageelastizitäten erforderlich ist, da sich die Nachfrager selbst einstufen. Bei optimaler Tarifkombination hat eine solche Preisstrategie sogar Wohlfahrtsvorteile vor den informationsaufwendigen Ramsey-Tarifen [Roth03]. Anbieter und Nachfrager können über die Zeit Lerneffekte nutzen, um sich der für sie optimalen Tarifkombination anzunähern. Für die Anbieter von Netzdiensten ist diese Preisstrategie vor allem dann interessant, wenn die Grenzkosten der Benutzung im Vergleich zu den fixen Kosten der Infrastrukturbereitstellung niedrig sind.

Ein Beispiel für die Anwendung dieser Preisstrategie ist die Bahncard für Nutzer von Mobilitätsdiensten der Deutschen Bahn AG. Die Bahncard wird in mehreren Variationen für die Grundgebühren angeboten. Der Vergleich der variablen Kosten einer Bahnfahrt mit den Kosten der Pkw-Nutzung kann für Bahn-Card-Inhaber daher häufiger positiv für die Bahn ausfallen. Dagegen hat das Deutschlandticket im öffentlichen Personenverkehr bei seiner Einführung auch die oben beschriebenen möglichen Negativ-Effekte gezeigt. Wenn die Grundgebühr sehr niedrig dimensioniert ist und die variablen Gebühren sogar ganz entfallen, so kann eine Übernachfrage entstehen, die zu Wohlfahrtsverlusten und zur langfristigen Image-Schädigung für das betroffene Verkehrsangebot führt.

Die vielfältigen Varianten mehrstufiger Tarife in den Bereichen Energie und Kommunikation zeigen, dass es keine allgemeingültige Optimalitätsstrategie für die Tarifkombinationen gibt und dass sich Anbieter und Nachfrager dynamisch und lernend an die Bedingungen in den jeweiligen Sektoren anpassen. Dabei kann es für kapitalstarke Anbieter sogar günstig sein, temporär Verluste hinzunehmen, um dadurch die Marktreichweiten ihrer Angebote zu steigern und Monopolmacht zu gewinnen. So kann eine Regulierung der Marktstrukturentwicklung, zum Beispiel von Unternehmensfusionen, erforderlich werden, um die Verdrängung von Konkurrenz zu vermeiden.
Glossar
Ansprechperson
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Differenzierte Preisbildungsprinzipien (Stand des Wissens: 11.03.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?404813
Formen der Bepreisung zur Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur (Stand des Wissens: 12.03.2025)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?335946
Literatur
[FrWe07] Fritsch, M., Wein, T., Ewers, H.-J. Marktversagen und Wirtschaftspolitik, Vahlen München, 2007
[Roth03] Rothengatter, Werner, , How good is first best? Marginal cost and other pricing principles for user charging in transport, veröffentlicht in Transport Policy, Ausgabe/Auflage 10, 2003
Glossar
Grenzkosten
Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes bezeichnen die zusätzlichen Kosten, die für den Einsatz jeweils einer zusätzlichen Faktoreinheit entstehen oder anders ausgedrückt: sie bezeichnen die Kosten der jeweils "letzten" Faktoreinheit. Da nur die variablen Kosten sich verändern, gehen auch nur diese in die Grenzkosten ein. Fixe Kosten werden nicht berücksichtigt.
Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes entsprechen im allgemeinen, das heißt bei proportionalen variablen Kosten, den variablen Durchschnittskosten. Weist jedoch die Funktion der variablen Kosten einen diskontinuierlichen Verlauf auf, weil beispielsweise ab einer bestimmten Grenze variable Abschreibungen entstehen, dann müssen die variablen Kosten der letzten Faktoreinheit zur Bestimmung der Grenzkosten herangezogen werden.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?589964

Gedruckt am Sonntag, 16. März 2025 13:16:54