Begleit- und Unterstützungsangebote zur Steigerung der Barrierefreiheit im ÖV
Erstellt am: 05.07.2022 | Stand des Wissens: 22.07.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Bei der Umsetzung barrierefreier Lösungen ergeben sich z.B. aus topographischen Gründen, Aspekten des Denkmalschutzes oder Finanzaspekten Probleme, die nicht immer überwindbar sind [Stuv12, Seite 80]. Hinzu kommen die Heterogenität der Zielgruppe der Mobilitätsbeeinträchtigten, sowie die Tatsache, dass viele Maßnahmen langjährigen Planungen und Baumaßnahmen bedürfen. Hier erfordert es ein die gesamte Wegekette begleitenden Serviceangebot, um eventuelle Lücken in der Barrierefreiheit dauerhaft schließen zu können.

Insbesondere für die Zielgruppe, der Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung, die von baulichen Maßnahmen nur eingeschränkt profitieren sind Serviceangebote elementar für eine selbstbestimmte Mobilität. Beispielsweise auch Menschen mit Demenz sind zu dieser Gruppe zu zählen. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, der Altersabhängigkeit von Demenzerkrankungen [Oest22, Seite 8] und den fehlenden Mobilitätsalternativen mit zunehmendem Alter, wird eine Demenzfreundliche Gestaltung des ÖPNV somit zukünftig an Bedeutung gewinnen. Es ergeben sich jedoch sowohl für Betroffene als auch für Verkehrsbetriebe grundsätzliche Problemfelder, die es zu bewältigen gilt. Insbesondere in frühen Demenzstadien, wo Betroffene durchaus noch selbstständig mobil sind, ist eine hohe Heterogenität innerhalb dieser Kundengruppe zu beobachten, sodass keine für alle gültige Lösung existieren kann. Entscheidend für die Bewältigung dieser Probleme sind eine an die Zielgruppe angepasste Kommunikation und Assistenz, sowie eine entsprechende Aus- und Weiterbildung des Personals [Bell18, Seite 58ff].
![Abbildung 2: Gegenüberstellung der Problemfelder für Fahrgäste mit Demenz und dem Verkehrsbetriebes entlang einer ÖPNV-Wegekette<br>(eigene Darstellung aufbauend auf [Eintrag-Id:554521] und [Eintrag-Id:404501]) 2. Abbildung 3.4: Übersicht über mögliche Serviceangebote für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste im ÖPNV In der vorliegenden Abbildung werden drei Varianten zu einer nachhaltigen Verbesserung des Service für mobilitätsbeeinträchtigte Fahrgäste dargestellt. Zusammen bilden sie einen aufeinander abgestimmten Serviceangebotskries. Im Folgenden werden die drei Variantenbereiche und ihre Wirkung nacheinander vorgestellt. Personalschulungen: Das Personal kennt spezifische Bedürfnisse und Probleme von mobilitätseingeschränkten Fahrgästen und kann entsprechend agieren. Fahrgastschulungen: Lassen sich in zwei Bereiche unterteilen. Zum einen können mobilitätsbeeinträchtigte Fahrgäste das ÖPNV-System und die vorhandenen Hilfestellungen kennenlernen. Andererseits können alle Fahrgäste über die Bedürfnisse und Probleme ihrer mobilitätsbeeinträchtigten Mitreisenden informiert werden, sodass diese wissen, wie und wann sie helfen können. Begleitangebote: Sie bieten Unterstützung bei Unsicherheit, neuen Herausforderungen, wie z.B. Änderungen im Liniennetz oder neuen Hilfsmitteln. Aber auch bei baulichen Hindernissen und Mobilitätseinschränkungen, die zwar zusätzlicher Hilfe bedürfen, aber keinen Pflege- oder Fahrdienst erfordern.](/servlet/is/554417/Wegekette%20Demenz.jpg)
(eigene Darstellung aufbauend auf [Oest22] und [Stuv12])
Mitarbeitende eines Verkehrsbetriebes, mit potenziellem Kontakt zu mobilitätsbeeinträchtigten Mitfahrenden sollten entsprechend geschult sein und die spezifischen Anforderungen und Probleme kennen. Besonders empfehlenswert ist hierbei der Einsatz des sogenannten Rollentauschs, bei dem Angestellte durch entsprechende Hilfsmittel am eigenen Leib eine Mobilitätsbeeinträchtigung erleben können [Stuv12, Seite 574]. Dies kann sowohl in geschütztem Umfeld oder wie in Melbourne (Australien) bei dem Projekt Travelling in the shoes of others (In der Haut des anderen unterwegs) im realen Nahverkehrsnetz erfolgen. Letzteres zeigte den Vorteil, dass auch sonst vernachlässigte Aspekte wie Zeitdruck beim Ein- und Ausstieg und die Bedeutung von durchgängig barrierefreien Wegeketten erlebt werden können [PTV22]. Auch die Einbeziehung und Weiterbildung aller Mitfahrenden kann hilfreich sein. Projekte wie das Caring commuter champion programm (Fürsorglichster Pendler-Programm) oder die May I have your seat Initiative (Darf ich Sie um Ihren Sitzplatz bitten - Initiative) in Singapur sprechen gezielt mitreisende Fahrgäste an sich mit den Bedürfnissen von mobilitätsbeeinträchtigten Mitreisenden zu beschäftigen und diese gezielt zu unterstützen [Sing22].
Zudem ist es wichtig, um das persönliche Sicherheitsempfinden zu erhöhen und Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung zur ÖPNV-Nutzung zu ermutigen, diese durch spezielle Kursangebote gezielt anzusprechen [Stuv12, Seite 576]. Viele Verkehrsunternehmen in Deutschland bieten bereits kostenlose Kurse, in denen in ruhigem Umfeld die Nutzung des ÖPNV geübt werden kann, an. Wenn diese Angebote speziell an die Bedürfnisse von Mitfahrenden mit Demenz und ihren Angehörigen zugeschnitten sind, ist auch hier ein positiver Effekt zu beobachten [Oest22, Seite 33].
Eine weitere Möglichkeit sind Begleitangebote, sie dienen als Unterstützung für Mitfahrende die zwar ohne Fahrdienst, jedoch nicht komplett ohne Unterstützung unterwegs sein können. Auch Mitfahrende nach Fahrgasttrainings, die auf ihren ersten Fahrten noch gerne einen Ansprechpartner und Ansorechpartnerinnen wünschen sind eine mögliche Zielgruppe [Stuv12, Seite 582]. Auch Mitfahrende mit Demenz (bzw. ihre Angehörigen) haben häufig den Wunsch einer Begleitung bei Fahrten im ÖPNV. Insbesondere bei dieser Zielgruppe ist jedoch ausgehend von den individuellen Voraussetzungen die Frage der Zuständigkeit für eine solche Begleitung zu klären, da neben Verkehrsbetrieben auch besser auf die Bedürfnisse eingestellte Anbieter, wie soziale Träger existieren können [Oest22, Seite 35f]. Der von einigen deutschen Verkehrsunternehmen angebotene Begleitservice ist, abgesehen vom Fahrgeld, kostenlos. Den geringen Einnahmen stehen jedoch ein nicht unerheblicher Personaleinsatz und Planungsaufwand, mit entsprechenden Kosten gegenüber. Dies setzt seitens der Verkehrsbetriebe eine entsprechende finanzielle Unterstützung durch externe Partner, wie z.B. den Kommunen und Gemeinden selbst, voraus.