Neue Mobilitätskonzepte und Resilienz
Erstellt am: 26.11.2021 | Stand des Wissens: 09.09.2024
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Neue Mobilitätskonzepte sind eine tragende Säule für die von der deutschen Bundesregierung angestrebte Verkehrswende. Im Privatverkehr verspricht man sich hiervon insbesondere eine Reduzierung der Anzahl an Pkw-Fahrten. Dazu müssen alternative Angebote, die für potenzielle Nutzergruppen attraktiv genug sind, geschaffen werden. Eine allgemeingültige Definition, was unter neuen Mobilitätskonzepten verstanden wird, existiert nicht. In der Regel sind damit innovative und neuartige Mobilitätsformen und -dienstleistungen gemeint. Dazu zählen beispielsweise Carsharing-Angebote oder öffentliche Fahrradverleihsysteme [BBSR15b, S. 5]. Im weiteren Sinne fällt aber zum Beispiel auch die Nutzung von E-Scootern darunter. Häufig liegt diesen neuen Mobilitätsangeboten das Prinzip "Nutzen statt Besitzen" zu Grunde.
Die Smartphone-Nutzung in Deutschland ist über die vergangenen Jahre stark angestiegen [BITKOM19]. Neuartige Mobilitätskonzepte haben von der stark gewachsenen Verbreitung der Smartphones besonders profitiert, da sich damit die Möglichkeit bietet, über Apps schnell, bequem und flexibel auf eine Reihe von Angeboten zugreifen zu können. Die zuvor aufgeführten Mobilitätskonzepte sind vorrangig in städtischen Gebieten zu finden, da ihre Anbieter eine gewisse Bevölkerungsdichte benötigen, um wirtschaftlich agieren zu können. Zu neuen Mobilitätskonzepten lassen sich auch alternative Antriebskonzepte, wie Elektrofahrzeuge oder E-Bikes zählen, die deutschlandweit, also auch in kleineren Gemeinden oder in Vorstädten, beliebter werden. Der Absatz von E-Bikes beispielsweise stieg von 2016 bis 2023 von 605.000 auf 2,1 Millionen [ZIV24].
Im Zuge der Resilienzbetrachtung stellt sich die Frage, wie krisenresilient die neuen Mobilitätsformen sind und wie sich ein Mobilitätswandel auf die Resilienz insbesondere des Stadtverkehrs insgesamt auswirkt. Für den Personenverkehr von Bedeutung sind Straßen, Schienen und die Infrastrukturelemente des Flugverkehrs. Es ist davon auszugehen, dass bezüglich der Zuverlässigkeit individuelle Mobilitätsformen angesichts ihrer flexibleren Nutzungsmöglichkeiten meist einen Vorteil gegenüber kollektiven Verkehrsmitteln haben. Aufgrund der Einzelnutzung ist die Routenwahl nicht a priori festgelegt. Dies bringt den Vorteil mit sich, da im Straßennetz, wo viele Redundanzen existieren, ein Ziel mit einem individuellen Verkehrsmittel eher als mit einem kollektiven Verkehrsmittel erreicht werden kann (solang das Ziel nicht selbst massiv von der Krise betroffen ist). Dies gilt unabhängig davon, ob man traditionelle oder neuartige Mobilitätsformen betrachtet. Im Schienenverkehr, der kollektiven Verkehrsmitteln vorbehalten ist, sind weniger Redundanzen vorhanden. Die Nutzung von E-Scootern, Fahrrädern und E-Bikes ist auf Fahrradwegen beziehungsweise auf Straßen möglich. Sie weisen daher grundsätzlich eine vergleichsweise hohe Resilienz auf, wie der motorisierte Individualverkehr. Darüber hinaus sind diese Fahrzeuge für das untergeordnete Straßennetz konzipiert, wo noch mehr Redundanzen als im übergeordneten Netz zu finden sind.
Oft fahren Fahrzeuge, die innerhalb innovativer Mobilitätskonzepte genutzt werden, mit Strom. Daher sind sie auf eine zuverlässige Stromversorgung angewiesen. Bei einem Langzeitstromausfall wären diese Mobilitätsformen nicht oder nur eingeschränkt nutzbar. Allerdings ist die Stromversorgung in Deutschland im weltweiten Vergleich sehr zuverlässig, sodass es selten zu längeren Stromausfällen kommt. Im Durchschnitt musste jede Personen im Jahr 2022 rund 11 Minuten auf Strom verzichten [VDE23a].
Durch eine plötzlich auftretende sehr hohe Nachfrage kann sich bei Mobilitätsformen, die lediglich von Fahrt zu Fahrt gebucht werden, ein weiterer Nachteil ergeben. Dies ist der Fall, wenn die Nachfrage die Angebotskapazität überschreitet. Sharing-Fahrzeuge sollen im Alltag selten genutzte Privatfahrzeuge ersetzen und von vielen Gelegenheitsnutzern regelmäßig gefahren werden. Die durch die Nutzung von Sharing-Fahrzeugen eingesparten privaten Fahrzeuge können im Krisenfall jedoch zu einer verringerten Verfügbarkeit von individuellen Verkehrsmitteln führen, die dann besonders vorteilhaft wären. Im Alltag erzielt man durch Sharingkonzepte eine bessere Auslastung von Fahrzeugen als dies bei privaten Fahrzeugen der Fall ist. Im Krisenfall, wenn viele Personen gleichzeitig Mobilitätsbedarf haben, kann das Teilen von Fahrzeugen zu einer geringeren Verfügbarkeit führen und damit zum Problem werden. Das Ziel einer effizienteren Auslastung von Fahrzeugen im Alltag stellt sich damit als gegenläufig zur im Krisenfall benötigten Redundanz an Fahrzeugen dar. Bei Mobilitätsangeboten mit dynamischem Preismodell kann es im Krisenfall aufgrund der sprunghaft steigenden Nachfrage (zum Beispiel bei einer Massenflucht aus einer Gefahrenzone) kurzfristig zu unverhältnismäßig hohen Preisen kommen. Dies trat etwa bei der Geiselnahme von Sydney (Australien) im Jahr 2014 auf [Heck14].
Die Mobilitätsreserven sind bei kleinen Sharing-Fahrzeugen (E-Scootern, Leihfahrrädern) aufgrund ihrer geringeren Kosten höher als bei Sharing-Pkw. Laut Bundesverband CarSharing beläuft sich die Sharing-Pkw-Flotte in Deutschland zum Jahresanfang 2024 auf etwa 43.000 Fahrzeuge (ohne Peer-to-Peer-Carsharing zwischen Privatpersonen) [BCS24]. Allein schon der Leihrad-Anbieter Deutsche Bahn verfügt über etwa 16.000 Fahrrädern [DBAG20i, S. 18]. In den deutschen Millionenstädten Berlin, Hamburg, Köln und München wurden im Jahr 2020 über 35.000 E-Scooter gezählt [ScKn20]. Die kleinen Fahrzeuge haben zudem den Vorteil, dass sie auch bei massenhafter Nutzung, zum Beispiel im Fall von Evakuierungen, bei Straßenengpässen weniger stauverursachend sind. Andererseits stoßen diese Fahrzeuge auch schneller an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit als Pkw. So können leicht überflutete Straßenabschnitte mit Pkw (insbesondere SUV) vielleicht noch genutzt werden, während E-Scooter dort nicht mehr fahren können. Für die Entleihe ist zudem ein funktionierendes mobiles Internet notwendig.