Vulnerabilität und verwandte Konzepte
Erstellt am: 25.11.2021 | Stand des Wissens: 17.01.2023
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Zur resilienten Gestaltung des Verkehrssystems ist es wichtig zu verstehen, welche Bereiche besonders störungsanfällig sind beziehungsweise wo im Störungsfall besonders starke Auswirkungen auf den Verkehrsfluss zu erwarten sind. Man spricht in diesem Zusammenhang von Vulnerabilität. Der Begriff Vulnerabilität stammt, wie der Begriff Resilienz, ursprünglich aus der Psychologie. Vulnerabilität ist dort gleichbedeutend mit Verwundbarkeit oder Verletzlichkeit. Menschen, die beispielsweise unter psychischen oder körperlichen Erkrankungen leiden, zeichnen sich durch eine höhere Vulnerabilität aus [Lehm17]. Bezogen auf Verkehr liegt das hauptsächliche Augenmerk auf den jeweiligen Verkehrsinfrastrukturen (Straßen, Schienen, Wasserstraßen, Rohrleitungen, Bahnhöfen, Flughäfen, Häfen). Eine Schädigung oder der Wegfall von Verkehrsinfrastrukturen können zur vollständigen Unterbrechung des Verkehrsflusses führen. Beispiele hierfür sind Hitze- und Frostschäden an Straßen, Schienen oder Start- und Landebahnen, aber auch Niedrigwasser auf Binnenwasserstraßen, wodurch die Schifffahrt beeinträchtigt wird. Daher ist es wichtig, Schwachstellen der Infrastrukturen ausfindig zu machen, diese resilient zu gestalten und an die klimatischen Änderungen anzupassen [UBA15e].
In der Literatur gibt es keine einheitliche Definition des Fachbegriffs Vulnerabilität. Um die vorhandenen Begriffsvarianten einordnen zu können, soll zunächst eine Vorüberlegung angestellt werden. Die Bedrohung eines Verkehrssystems durch ein mögliches, zukünftiges Extremereignis ergibt sich grundsätzlich aus der Eintrittswahrscheinlichkeit des Ereignisses, der Art, wie das Ereignis das Verkehrssystem treffen kann, und der Stärke der Schädigung oder Beeinträchtigung des Verkehrssystems, wenn es getroffen wird. Eine genauere Beschreibung der Bedrohungslage in Form einer Wahrscheinlichkeitsverteilung ist dementsprechend kompliziert:
Das Extremereignis kann unterschiedliche Stärken haben, so gibt es zum Beispiel für Erdbeben oder Stürme etablierte Skalen.
Bei gleicher Stärke kann das Verkehrssystem unterschiedlich stark betroffen sein (abhängig zum Beispiel von der genauen Lage der Erderschütterung beziehungsweise der Windrichtung eines Sturms relativ zur Lage der Verkehrsinfrastrukturen). Somit können viele verschiedene Situationen resultieren, in denen das Verkehrssystem in unterschiedlicher Art und Stärke geschädigt oder beeinträchtigt wird; jede dieser Situationen hat ihre eigene Wahrscheinlichkeit. Zudem gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, die Schädigung oder Beeinträchtigung eines Verkehrssystems zu beschreiben und zu messen (zum Beispiel durch die monetäre Bewertung des Schadens an einer Verkehrsinfrastruktur oder durch die Zahl der Personen, die ihr Ziel nicht mehr erreichen können). Je nach Art der Beschreibung oder Messung werden die vielen möglichen Einzelsituationen, die aus einem Ereignis resultieren können, in unterschiedlicher Weise zusammengefasst und es resultieren entsprechend unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen.
Bei gleicher Stärke kann das Verkehrssystem unterschiedlich stark betroffen sein (abhängig zum Beispiel von der genauen Lage der Erderschütterung beziehungsweise der Windrichtung eines Sturms relativ zur Lage der Verkehrsinfrastrukturen). Somit können viele verschiedene Situationen resultieren, in denen das Verkehrssystem in unterschiedlicher Art und Stärke geschädigt oder beeinträchtigt wird; jede dieser Situationen hat ihre eigene Wahrscheinlichkeit. Zudem gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, die Schädigung oder Beeinträchtigung eines Verkehrssystems zu beschreiben und zu messen (zum Beispiel durch die monetäre Bewertung des Schadens an einer Verkehrsinfrastruktur oder durch die Zahl der Personen, die ihr Ziel nicht mehr erreichen können). Je nach Art der Beschreibung oder Messung werden die vielen möglichen Einzelsituationen, die aus einem Ereignis resultieren können, in unterschiedlicher Weise zusammengefasst und es resultieren entsprechend unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen.
In diesem Kontext sind in der Literatur zwei unterschiedliche Tendenzen zu erkennen, den Begriff Vulnerabilität zu verwenden. Einerseits wird Vulnerabilität (im weiteren Sinne) als Oberbegriff für die gesamte Bedrohungslage verwendet, der die Dimensionen Wahrscheinlichkeit und Schädigung gleichermaßen umfasst. Andererseits gibt es einen Wortgebrauch, wonach Vulnerabilität (im engeren Sinne) den Aspekt der Wahrscheinlichkeit nicht beinhaltet; dann wird Vulnerabilität immer noch als Oberbegriff für die vielen Dimensionen der Schädigung und ihrer Messung verwendet.
Wird Vulnerabilität im engeren Sinne verstanden, kann Risiko durch folgenden allgemeinen Zusammenhang beschrieben werden [UNDRR20]:
Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit des Ereignisses * Exposition des Verkehrssystems * Vulnerabilität des Verkehrssystems
Hierbei steht * für eine mathematische Verknüpfung, die genauer zu spezifizieren wäre, im einfachsten Fall eine Multiplikation. Exposition steht für die Angriffsfläche, die das Verkehrssystem gegenüber dem Ereignis aufweist (zum Beispiel die Anzahl der Straßen in dem betroffenen Gebiet) und ist damit eng verbunden mit der bedingten Wahrscheinlichkeit, dass und wie stark das Ereignis, wenn es denn eintritt, das Verkehrssystem trifft. In diesem Zusammenhang bezeichnet Vulnerabilität die Schädigung, die an dem Verkehrssystem eintritt, wenn es getroffen wird.
Alle drei Elemente der illustrativen Gleichung Eintrittswahrscheinlichkeit, Exposition und Vulnerabilität variieren mit der Stärke des möglichen Ereignisses. In dieser allgemeinen Form umschreibt die illustrative Gleichung allgemein den Begriff Risiko. Wird sie hingegen zu einer konkreten Rechenvorschrift weiterentwickelt, dann führt sie zu einem konkreten Maß des Risikos (Beispiel: der Erwartungswert des in Geld gemessenen Schadens an der Infrastruktur) [CEDIM20].
Manchmal trifft man auch auf einen mittleren Begriff von Vulnerabilität, bei dem (im Gegensatz zu der illustrativen Gleichung) die Exposition als Aspekt der Vulnerabilität aufgefasst wird (nicht jedoch die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses). Feit et al. erläutern Vulnerabilität als eine Funktion aus Exposition, Sensitivität und Anpassungskapazität, wobei die Exposition die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadensereignisses, die Sensitivität ein Maß für die Empfänglichkeit gegenüber diesem und die Anpassungskapazität die Fähigkeit zum Umgang mit dem Schadensereignis und seinen Folgen beschreibt [TiHe14]. Wenn hierbei mit Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadensereignisses die Gesamtwahrscheinlichkeit (einschließlich der Wahrscheinlichkeit des Extremereignisses) gemeint ist, dann handelt es sich bei dieser Definition um Vulnerabilität im weiteren Sinne. Wenn nur die bedingte Wahrscheinlichkeit der Schädigung des Systems im Falle des Extremereignisses gemeint ist, dann wird der mittlere Begriff von Vulnerabilität intendiert.
Unabhängig davon dienen die beiden anderen Begriffe, Sensitivität und Anpassungskapazität, dazu, die Vulnerabilität im engeren Sinne genauer zu beschreiben. Angemerkt sei, dass die Sensitivität und Anpassungskapazität auch von Ausmaß, Vorhersagbarkeit und Vorlaufzeit des eintretenden Ereignisses abhängen.
Meistens bezieht sich Vulnerabilität auf die Anfälligkeit eines bestimmten, abgrenzbaren Systems (zum Beispiel Verkehrssystem) gegenüber einer bestimmten Klasse von Extremereignissen (zum Beispiel Stürme) in einer bestimmten Region (zum Beispiel ein Bundesland oder den Regierungsbezirk Köln). Im Gegensatz dazu entwickelt der Weltklimarat (IPCC) Definitionen von Vulnerabilität gegenüber Klimaveränderungen, die deutlich breiter angelegt sind. Sie können sich auf die Gesamtheit der Lebensbedingungen der Menschen in großen geografischen Räumen gegenüber einer Vielzahl von klimatisch bedingten Extremereignissen (wie Stürme, Hochwasser, Starkniederschläge, Trockenheit et cetera) beziehen. Bei den Definitionen des IPCC ist ein Wandel vom weiteren zum engeren oder mittleren Vulnerabilitätsbegriff festzustellen. Im IPCC-Bericht aus dem Jahr 2007 wird Vulnerabilität noch beschrieben als eine Funktion aus einerseits Art, Ausmaß und Geschwindigkeit der Klimaveränderung und andererseits Sensitivität und Anpassungskapazität des betroffenen Systems [IPCC08, S. 98]. Durch die starke Einbeziehung des Extremereignisses Klimaveränderung in den Vulnerabilitätsbegriff entspricht dies dem weiteren Begriff von Vulnerabilität. Hingegen definiert der IPCC-Bericht von 2014 Vulnerabilität als Neigung, nachteilig betroffen zu sein, welche sich unter anderem anhand der Anfälligkeit gegenüber Schädigungen und mangelnder Anpassungskapazität zeigt [IPCC14, S.13]. Dies entspricht dem engeren oder mittleren Begriff von Vulnerabilität.
An die Definitionen des IPCC knüpfen weitere Autorinnen und Autoren an, um die Vulnerabilität gegenüber Klimaveränderungen zu beschreiben. Die genannten Komponenten Anfälligkeit und Anpassungskapazität beeinflussen die möglichen Folgen und die Gefährdung einer Person, einer Region oder eines Systems durch den Klimawandel. Bezogen auf den Klimawandel beschreibt Exposition, wie stark sich die klimatischen Bedingungen (insbesondere jährlicher Niederschlag und Durchschnittstemperatur) in einer Region verändern. Die Sensitivität beschreibt, wie empfindlich das jeweilige System auf die klimatischen Änderungen reagiert. Die Anpassungskapazität gibt die Fähigkeit an, sich durch Umsetzung von Maßnahmen an die gegebenen Veränderungen anzupassen [GERCS13].
Ein weiteres Konzept, das in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, ist das der Kritikalität. Kritikalität bezieht sich im Allgemeinen auf Teilbereiche eines Systems, die von großer Wichtigkeit für das Funktionieren des Systems sind. Sie gibt ein relatives Maß für die Bedeutsamkeit einer Struktur an und beschreibt indirekt die Schwere der Konsequenzen für den Fall, dass diese Struktur eine Störung erleidet oder komplett ausfällt. Verkehrswege sind essenziell für die Abwicklung des Personen- und Güterverkehrs und garantieren damit die Versorgungssicherheit der Gesellschaft [Feke13]. Sie sind daher grundsätzlich als besonders kritisch im Sinne von besonders wichtig zu sehen und werden demzufolge als kritische Infrastrukturen bezeichnet [BBK09].