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Heterogenität von Interessenskonflikten und ihren potentiellen Auswirkungen in der Gefahrgutlogistik

Erstellt am: 10.06.2015 | Stand des Wissens: 05.09.2024
Synthesebericht gehört zu:

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass sich die Interessenslagen der an der Gefahrgutlogistik beteiligten Akteure unterscheiden und letztlich oftmals vom Einzelfall abhängen. So ist die Ausprägung einer konkreten Gefahrguttransportkette ebenso wie die dabei zu befolgenden Regelungen nicht nur von der Art des Gefahrgutes abhängig, sondern wird ebenfalls von der zu transportierenden Menge, den gewählten Verkehrsträgern, der Transportroute oder dem Versand- und Empfangsort beeinflusst [Mue13].

Auch die Interessen öffentlicher Akteure in der Gefahrgutlogistik sind vielfältig. So stellt der Gesetzgeber nicht nur ein Regelwerk zur Durchführung von Gefahrguttransport, -umschlag und -lagerung bereit, sondern liefert gleichzeitig auch Hilfestellungen für Kontrolleure bei der Überprüfung von Gefahrguttransporten, etwa durch das Vorgeben von Prüfungsverfahren oder von Mustern für die Kontrollberichterstattung sowie für Rettungskräfte im Schadensfall, unter anderem durch Dokumentationspflichten für Gefahrguttransporte [He13; ADN].Darüber hinaus sind beispielsweise die Leitfäden des Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) zu nennen, die in Bezug auf Gefahrgutlogistik unter anderem Hinweise zur Beförderung von Feuerwerkskörpern, Lagerung verpackter gefährlicher Stoffe oder zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) geben [DSLV24].

Sowohl bei Operateuren als auch bei öffentlichen Akteuren beeinflussen wirtschaftliche Aspekte die Interessenslage. Für Logistikdienstleister und Transportunternehmen sind Gefahrguttransporte in vielen Fällen aufwendiger als die Beförderung ungefährlicher Güter, da sie besondere Schulungen für Personal, Spezialbehälter und -fahrzeuge und einen höheren administrativen Aufwand erfordern. Zudem beeinflussen Fragen der Haftung das Verhalten von operativ tätigen Akteuren der Gefahrgutlogistik. Für öffentliche Akteure spielen ökonomische Überlegungen zum Beispiel bei Entscheidungen hinsichtlich der Häufigkeit von Gefahrgutkontrollen oder der volkswirtschaftlichen Kosten, die durch Unfälle, Leckagen oder Havarien entstehen, eine Rolle [Gold19a].

Da die Interessenslagen der Akteure der Gefahrgutlogistik vom konkreten Fall motiviert sind, sind auch Interessenskonflikte zwischen Akteuren abhängig vom Einzelfall. Ein ähnlich heterogenes Bild ergibt sich bei der Betrachtung möglicher Folgen von Interessenskonflikten zwischen Akteuren der Gefahrgutlogistik, welche von kleinen, an sich folgenlosen Mängeln bei der Organisation und Durchführung von Gefahrguttransporten, bis hin zu schweren, sicherheitsrelevanten Vorfällen und Unfällen reichen. Das Gefahrgutrecht bietet eine Möglichkeit der (nicht abschließenden) Systematisierung von Mängeln und deren Auswirkungen.
Ausgehend von der Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, mit Eisenbahnen und auf Binnengewässern (Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt, GGVSEB) erfolgt die Einteilung gefährlicher Güter in neun Klassen und Unterklassen  [GGVSEB].
Die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der Straße wird seit Oktober 2022 durch die EU Richtlinie 2022/1999 reguliert und vereinheitlicht. Ziel der Richtlinie ist die Festlegung eines Standards, um die Sicherheit während des Transports zu gewährleisten und das Risiko von Unfällen zu minimieren. Dies beinhaltet die Klassifizierung gefährlicher Güter, Hinweise zur Dokumentation, die Notwendigkeit der Schulung beziehungsweise Qualifikation des Personals und die Festlegung von Notfallmaßnahmen [EU95;GGVSEB].
Zusammenfassend sind Interessenskonflikte zwischen Akteuren der Gefahrgutlogistik und deren Folgen abhängig von Einzelfallkonstellationen. Gleichzeitig bilden diese Fälle auch die Grundlage der Weiterentwicklung der Gefahrgutregeln und -praxis: "Das Lernen aus einzelnen Ereignissen stand im Steuerungsprozess schon immer als zuverlässiges Verfahren zur Sicherheitsoptimierung im Vordergrund und ist bis heute von herausragender Bedeutung" [SzFg10, S. 13]. Aufgrund der Vielfältigkeit der Interessenslagen sowie der für die Weiterentwicklung der Gefahrgutlogistik besonderen Wichtigkeit des "relevanten Einzelfalls" werden Interessenskonflikte in den nachfolgenden Syntheseberichten anhand von aktuellen Fallbeispielen aus der Gefahrgutlogistikpraxis beschrieben. Dies umfasst Interessenskonflikte bei der Organisation von Gefahrguttransporten, rechtliche Aspekte sowie internationale, grenzüberschreitende Gefahrguttransporte.
Ansprechperson
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Gefahrgutlogistik im Spannungsfeld gegensätzlicher Anforderungen (Stand des Wissens: 04.09.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?450386
Literatur
[DSLV24] Bundesverband Spedition und Logistik (Hrsg.) Sammlung der Leitfäden des Bundesverbands Spedition und Logistik e.V., 2024
[EU95] Europäisches Union (Hrsg.) RICHTLINIE 95/50/EG DES RATES vom 6. Oktober 1995 über einheitliche Verfahren für die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der Straße, 1995/10/06
[Gold19a] Goldberg, David M., Hong, Sukhwa Minimizing the Risks of Highway Transport of Hazardous Materials, veröffentlicht in Sustainability, Ausgabe/Auflage Volume 11, Issue 22, 2019/11, Online-Referenz doi:10.3390/su11226300, ISBN/ISSN ISSN 2071-1050
[He13] Claus-Dieter Helmke Klarheit für die Praxis, veröffentlicht in gefährliche ladung, Ausgabe/Auflage 2, Storck Verlag Hamburg, 2013/02
[Mue13] Dr. Norbert Müller Der Strom reißt nicht ab, veröffentlicht in gefährliche ladung, Ausgabe/Auflage 6, Storck Verlag Hamburg, 2013/06
[SzFg10] Dr.-Ing. Bernd Schulz-Forberg Risikoentwicklung im Straßengefahrguttransport seit 1975, veröffentlicht in Gefahrgut für die Praxis, Ausgabe/Auflage Sonderausgabe, Deutscher Bundes-Verlag, 2010/06
Rechtsvorschriften
[ADN] ADN 2000
[GGVSEB] Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt - GGVSEB
Glossar
Logistikdienstleister Logistikdienstleister (abgekürzt: LDL; Englisch: logistics service provider) bezeichnet die Weiterentwicklung des traditionellen Speditionsgeschäfts. Über Transport, Umschlag und Lagerung (TUL) hinaus bietet der LDL weitere Leistungen und Lösungen an, zum Beispiel kundenbezogene Lagerung, Kommissionierung, Assemblierung, Fakturierung usw. LDL und 3PL werden häufig synonym verwendet.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?450262

Gedruckt am Sonntag, 22. September 2024 05:35:18