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Distributive Wirkungen von Verkehrssteuern und Gebühren

Erstellt am: 15.03.2011 | Stand des Wissens: 20.08.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Infrastrukturwirtschaft und -management - Prof. Dr. Thorsten Beckers
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics

Neben den allokativen Effekten von Einnahmequellen sind deren Verteilungswirkungen zu berücksichtigen. Eine zentrale distributive Frage bei der Wahl und Ausgestaltung von Einnahmequellen besteht darin, inwieweit die Einnahmeerhebung die wirtschaftliche Position von Betroffenen beeinflusst. Diese wird in der Regel nach dem Einkommen bemessen. Neben Kfz-, Energiesteuer und Mautgebühren müssen im Kontext distributiver Wirkungen auch Steuerentlastungsinstrumente wie das sogenannte Dienstwagenprivileg oder die Pendlerpauschale betrachtet werden.
Die Kfz-Besteuerung bewirkt grundsätzlich eine progressive Wirkung auf die Einkommensverteilung, denn hubraumstarke Fahrzeuge mit hohen CO2-Emissionswerten werden höher besteuert. Die niedrigen Steuerhöhen bewirken allerdings, dass der Anteil der Kfz-Steuern am Einkommen höherer Einkommensschichten sehr niedrig ist, so dass die Kfz-Steuern nur einen geringen Einfluss auf die Pkw-Beschaffung haben.
Energiesteuern wirken zunächst progressiv, da sie mit den Fahrleistungen und der Pkw-Größe ansteigen. Mit steigendem Einkommen erhöhen sich beide Indikatoren. Bezieht man dagegen die Steuerbelastungen auf die Einkommenspositionen der Betroffenen, so zeigt sich ein differenziertes Bild [bpb21a]. Über die Hälfte der Bezieherinnen und Bezieher sehr niedriger Einkommen besitzt keinen Pkw und hat daher auch keine Belastungen durch die Treibstoffbesteuerung. Die andere Hälfte ist dagegen überproportional, gemessen am Anteil der Steuerlast am Einkommen, betroffen (siehe Abbildung 1).
FIS_Abb1_DistributiveWirkungen.pngAbbildung 1: Pkw-Besitz nach ökonomischem Status 2017; Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: [[Nobi18,S.35]; [bpb21a]] 

Die Einführung einer CO2-Steuer ab 2021 in Deutschland wirkte wie eine Erhöhung der Energiebesteuerung. Während die Anfangshöhe mit 25 Euro pro Tonne CO2 noch eine maßvolle rechnerische Erhöhung der Treibstoffkosten um 7 bis 8 Euro-Cent pro Liter Kraftstoff bewirkte, liegt die Belastung ab 2024 bereits bei 45 Euro pro Tonne CO2 und 13 bis 14 Euro-Cent pro Liter und wird bis 2026 (mit 55 Euro pro Tonne CO2) auf 17 bis 19 Euro-Cent pro Liter ansteigen [ADAC24b]. Dies wird einkommensschwache Verkehrsteilnehmer, die der Steuer nicht ausweichen können, überproportional belasten. Die als Kompensationsmaßnahme eingeführte Erhöhung der Entfernungspauschale begünstigt dabei die höheren Einkommensschichten.
Im grenzüberschreitenden Pkw- und Lkw-Verkehr können die unterschiedlichen Energiesteuer-Sätze bewirken, dass Kraftstoff vermehrt im Ausland getankt wird. Dies gilt vor allem für Luxemburg, Polen oder Tschechien. Der Kostenunterschied zum Tanken in Luxemburg beträgt derzeit bei Super-Benzin 26 Euro-Cent pro Liter und bei Dieselkraftstoff 18 Euro-Cent pro Liter. Vor allem für internationale Lkw-Touren im Kerngebiet der EU hat dies zu Routenverlagerungen geführt, sodass deutsche Tankstellen in Grenznähe gemieden werden.
Dagegen spielen Steuervergünstigungen eine größere Rolle bei der Verkehrsmittelwahl. Vom sogenannten Dienstwagenprivileg können in erster Linie Personen höherer Gehaltsklassen profitieren, weshalb die Vergünstigung regressiv wirkt. Während der Anteil gewerblicher Pkw an den Zulassungen in Deutschland im Jahr 2022 bei rund zwei Dritteln lag, wird der Anteil der Dienstwagen, also der auch privat genutzten Pkw, mit rund 20 Prozent geschätzt [GeWa23]. Dabei wurden rund 87 Prozent der Oberklassenfahrzeuge gewerblich zugelassen [Stat24i], was die Vermutung stützt, dass sich auch die privat genutzten Dienstwagen überwiegend in dieser Kategorie befinden. Die Entfernungspauschale (auch Pendlerpauschale genannt) wurde von 2021 bis 2023 von 30 auf 35 Euro-Cent pro Kilometer und ab 2024 auf 38 Euro-Cent pro Kilometer angehoben. Dies sollte als Ausgleich für die Anhebung der CO2-Steuern dienen, die vor allem Pendlerinnen und Pendler mit langen Pkw-Fahrten treffen. Auch diese Maßnahme wirkt regressiv, da höhere Einkommen stärker von Steuerermäßigungen profitieren, überdurchschnittlich Verdienende häufiger und weiter pendeln und zudem häufig noch die Vorteile niedrigerer Wohnkosten im Umland der Städte genießen [Öko21].
Gebührensysteme werden häufig wegen ihrer regressiven Wirkung kritisiert [SaCa22]. Dies gilt vor allem für grenzkostenbasierte Systeme, weil sie Verkehrsteilnehmer, die nicht ausweichen können, sehr hoch belasten. Dies sind in erster Linie einkommensschwache Pendlerinnen und Pendler im ländlichen Raum, die keine gleitenden Arbeitszeiten oder Homeoffice nutzen können und ein schlechtes Angebot des öffentlichen Nahverkehrs vorfinden. Weiter werden Staugebühren oft als unfair empfunden, weil Staus auch durch unterlassenen Ausbau, Ersatzinvestitionen oder Straßenerhaltung verursacht werden und vernachlässigte Regionen stärker treffen.
Bei Vollkostensystemen sind regionale Ungleichbehandlungen nur auf der Umweltseite (Lärm, Luftverschmutzung) zu erwarten, wo sie eine geringe finanzielle Bedeutung haben. Da sie humane Betroffenheiten widerspiegeln, ist die Akzeptanz für raumbezogene Differenzierungen von Umweltkosten vergleichsweise hoch. Die Einführung der 3,5-Tonnen-technisch-zulässige-Gesamtmassen-Grenze für die Lkw-Bemautung in Deutschland hat dagegen zu Befürchtungen geführt, dass Kleinbetriebe überproportional belastet werden, die nicht in die Ausnahmeregelungen einbezogen sind (zum Beispiel Landschafts- und Gartenbau oder regionaler Obst- und Gemüsehandel).
Ein Vorteil von Gebührenlösungen liegt darin, dass alle Nutzenden (bis auf Ausnahmen) zur Gebührenzahlung herangezogen werden. Dies betrifft in- und ausländische Betroffene in gleichem Maße. So beträgt der Anteil ausländischer Lkw an der mautpflichtigen Fahrleistung im deutschen Straßengüterverkehr inzwischen 43,2 Prozent (2023) [BALM24b]. Der Anteil von ausländischen Pkw und Bussen an den gesamten Fahrleistungen auf deutschen Autobahnen beträgt dagegen nur rund 6 Prozent. Die geplante Einführung einer Pkw-Vignette ab 2020 hätte laut Schätzung des Bundesverkehrsministeriums (BMDV) jährliche Einnahmen von etwa 500 Millionen Euro erbracht. Diese Größenordnung wurde aus der Wissenschaft stark angezweifelt [LaRo14], doch es kam ohnehin nicht zur Realisierung aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs von 2019. Dieses Urteil stellte eine Verletzung des Nicht-Diskriminierungsverbots fest, die sich durch die beabsichtigte Kompensation der Vignettengebühr durch eine Entlastung bei der Kfz-Steuer ergeben hätte.
Hinter der misslungenen Einführung einer Pkw-Maut auf deutschen Fernstraßen mit gleichzeitiger Kompensation durch Steuersenkung steckt die Idee, die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Einführung von Nutzergebühren zu erhöhen, indem Ausgleichsmaßnahmen die Nachteile vermindern. In der Road-Pricing-Literatur sind vor allem folgende Vorschläge für Ausgleichsmaßnahmen zu finden [SaCa22]:
Im Falle der Londoner, Stockholmer oder Mailänder City-Mauten werden die über die Betreiberkosten hinausgehenden Einnahmen für alle Verkehrszwecke, vor allem für den Ausbau des ÖPNV verwendet. In ähnlicher Weise wird in Deutschland die Hälfte der Lkw-Maut (nach Abzug der Betreiberkosten) den Bundesfernstraßen und die andere Hälfte allgemeinen Verkehrszwecken einschließlich der Bundesschienenwege zugewiesen.
Ansprechperson
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Einnahmequellen für die Fernstraßenfinanzierung (Stand des Wissens: 15.06.2015)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?345836
Literatur
[ADAC24b] Meyer, Helmuth, Gieße, Andre CO2-Steuer: Was der Anstieg für Autofahrer bedeutet, 2024
[BALM24b] Bundesamt für Logistik und Mobilität, BALM (Hrsg.) Verteilung der mautpflichtigen Fahrleistungen in Deutschland nach Zulassungsstaat des Fahrzeugs von 2013 bis 2023 , 2024/01
[bpb21a] Canz, Weert Pkw-Verfügbarkeit, 2021/03/10
[GeWa23] Leipold, Janna , Rohm, Jacob Das Dienstwagenprivileg einfach erklärt und klimafreundlich umsetzbar, 2023/03/02
[LaRo14] Lamparter, Dietmar H. , Rohrbeck, Felix PKW-Maut - Wer liegt daneben, veröffentlicht in Die Zeit, Ausgabe/Auflage Nr. 46/2014, 2014/11/06
[Nobi18] Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (infas),, Deutsches Zentrum für Raum- und Luftfahrt (DLR),, IVT Research GmbH,, infas 360 GmbH Mobilität in Deutschland 2017 (MiD 2017) - Ergebnisbericht , 2018
[Öko21] Öko-Institut e.V. Institut für angewandte Ökologie, Öko-Institut (Hrsg.) VerkehrswendeMythen 12 Pendelnde mit geringem Einkommen profitieren von der erhöhten Entfernungspauschale, 2021/03/18
[SaCa22] Santos, Georgina , Caranzo, Angelique Potential distributional impacts of road pricing: A case study, veröffentlicht in Case Studies on Transport Policy , Ausgabe/Auflage Volume 10, Issue 1, 2022/03/11
[Stat24i] Kraftfahrt-Bundesamt, KBA (Hrsg.) Anteil gewerblicher Halter an den Neuzulassungen von Personenkraftwagen in Deutschland nach Segment von Januar bis Juli 2024 , 2025/08/07
Rechtsvorschriften
[1999/62/EG] EU-Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge
[2006/38/EG] EU-Richtlinie 2006/38/EG
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
City Der in der Stadtforschung und im allgemeinen Sprachgebrauch für die Kennzeichnung des Stadtzentrums meist größerer Städte verwendete Begriff City ist nicht eindeutig, da er im Englischen eine völlig andere Bedeutung hat. Im englischen Sprachgebrauch kann der Begriff City für drei verschiedene Varianten stehen:
  1. allgemein für eine Großstadt,
  2. für eine historische Stadt mit Bischofssitz und Kathedrale,
  3. für eine Stadt mit königlicher Urkunde und zeremoniellen Privilegien.
Der deutsch Begriff der City leitet sich aus der frühen Konzentration von Bürofunktionen in der historischen City of London ab, da sich dort bereits im 18. Jahrhundert mit dem aufkommenden und rasch entfaltenden Banken- und Versicherungswesen der neue Typ des Bürohauses herausbildete, der den Prozess der Citybildung enorm beschleunigte. In erster Linie ist City ein Funktionsbegriff. Die City ist der zentralst gelegene Teilraum einer größeren Stadt mit einer räumlichen Konzentration hochrangiger zentraler Funktionen des tertiären und quartären Sektors.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?344860

Gedruckt am Samstag, 21. September 2024 12:38:13