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Anlastung von Staukosten

Erstellt am: 15.03.2011 | Stand des Wissens: 22.08.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Infrastrukturwirtschaft und -management - Prof. Dr. Thorsten Beckers
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics

Neben den Infrastruktur- und Umweltkosten verursacht die Straßenbenutzung auch externe Kosten, die Verkehrsteilnehmende anderen Straßenverkehrsteilnehmenden zufügen. Infolge wechselseitiger Behinderungen der Verkehrsteilnehmenden sinken mit zunehmendem Verkehrsaufkommen die Durchschnittsgeschwindigkeiten, bis hin zum Stop-and-Go-Verkehr und, nahe der Kapazitätsgrenze, zum temporären Stillstand. Jedes zusätzliche Fahrzeug verlangsamt also alle anderen Verkehrsteilnehmenden auf einer Strecke und erhöht damit deren private (Zeit-)Kosten. Bei der Entscheidung über die Durchführung einer Fahrt zum aktuellen Zeitpunkt und über die gewählte Route kann jeder Straßenverkehrsteilnehmende zwar seine individuellen Durchschnittskosten (Zeit- und Betriebskosten) für diese Fahrt berücksichtigen, er ignoriert aber in aller Regel seinen unmittelbaren negativen Einfluss auf die Reisezeit und Betriebskosten anderer Nutzender. Damit kann es ohne Steuerungsmaßnahmen in Zeiten hoher Nachfrage zur Übernutzung der vorhandenen Straßenkapazität kommen, die sich in Verkehrsbehinderungen und Verkehrsstaus äußert. Die den anderen Verkehrsteilnehmenden aufgebürdeten zusätzlichen Kosten einer Fahrt werden als externe Staugrenzkosten bezeichnet. Entsprechend des überproportionalen Absinkens der Durchschnittsgeschwindigkeiten weisen diese externen Staugrenzkosten einen mit zunehmender Verkehrsstärke steigenden Verlauf auf, das heißt, sie sind bei Erreichen oder Überschreiten der Straßenkapazität besonders hoch.
Eine Anlastung der nicht gedeckten Grenzkosten der Benutzung soll eine Dämpfung und Umlenkung der Nachfrage bewirken. Ziel ist eine bessere Auslastung der Kapazitäten durch Änderung von Fahrtzeiten, Fahrthäufigkeiten, Fahrtrouten und Verkehrsmittelwahl.
Die Staugrenzkosten galten über einen langen Zeitraum als die dominierenden externen Effekte des Straßenverkehrs. In den Handbüchern der EU-Kommission für externe Kosten des Verkehrs wurden die Kosten des Staus weit höher auswiesen, als die Kosten für Umwelt und Klima. Die Motivation für die Berücksichtigung von Staukosten folgte aus der neoklassischen Wohlfahrtstheorie, die eine optimale Wohlfahrtssituation für eine Volkswirtschaft dann als gegeben ansieht, wenn die Preise den Grenzkosten entsprechen. So wird im Falle von Staus argumentiert, dass die sozialen Grenzkosten einer Fahrt höher sind als die von den Verkehrsteilnehmern wahrgenommenen individuellen Durchschnittskosten, sodass die Differenz als Gebühr anzulasten ist, um eine optimale Auslastung der Straßen herzustellen (Pigou-Steuer nach [Pigou20]).
Während die wohlfahrtstheoretische Begründung wie auch die in der Literatur ausgewiesenen Größenordnungen der Staugrenzkosten Gegenstand harter wissenschaftlicher Kontroversen sind, ist die pragmatische Erkenntnis allgemein akzeptiert, dass Staugebühren dazu dienen können, die Nachfrage an die verfügbaren Kapazitäten anzupassen. So kann man die Regelung in der EU-Richtlinie [(EU) 2022/362] als Instrument der Nachfragesteuerung verstehen, da sie eine weitere Differenzierung der Mauten nach Zeiten, Strecken und Verkehrszuständen erlaubt. Im Ausland haben sich solche Aufschläge auf die Gebühren bei städtischen Mautsystemen bewährt, wie zum Beispiel in Stockholm (Schweden).
Die Lkw-Maut in Deutschland enthält keine Staukosten-Komponente.
Ansprechperson
M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Gesamtwirschaftliche Bewertung der Einnahmequellen: Verursachungsgerechte Kostenanlastung (Stand des Wissens: 16.11.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?345813
Literatur
[Pigou20] Pigou, A. The Economics of Welfare. Latest Edition 2013., 1920
Rechtsvorschriften
[(EU) 2022/362] EU-Richtlinie 2022/362 Des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Februar 2022 zur Änderung der Richtlinien 1999/62/EG, 1999/37/EG und (EU) 2019/520
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Verkehrsstärke
Die Verkehrsstärke ist eine Kennzahl für die Stärke eines Verkehrsstroms an einem Querschnitt, gemessen in der Anzahl der Verkehrseinheiten, die diese Stelle pro Zeiteinheit passieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von Streckenbelastung, wenn sich die Quantifizierung des Verkehrsstroms alternativ auf einen betrachteten Streckenabschnitt und nicht auf einen Querschnitt bezieht.
Verkehrsstärke = Verkehrseinheiten am Querschnitt / Bezugsperiode
Gebräuchliche Einheiten für die Verkehrsstärke sind z. B. Fahrzeuge [Fzg] pro Tag [24h] oder Stunde [h] (z. B. durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke, kurz DTV [Fzg/24h])
Betriebskosten
Betriebskosten sind laufende Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Erbringung von Verkehrsleistungen entstehen. Hierzu zählen zum Beispiel Aufwendungen für Energie, Personal, oder Infrastrukturnutzung.
Verkehrsaufkommen Das Verkehrsaufkommen beschreibt die Anzahl der zurückgelegten Wege, beförderten Personen oder Güter pro Zeiteinheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das spezifische Verkehrsaufkommen auf zurückgelegte Wege und beschreibt die mittlere Anzahl der Ortsveränderungen pro Person und Zeiteinheit.
Grenzkosten
Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes bezeichnen die zusätzlichen Kosten, die für den Einsatz jeweils einer zusätzlichen Faktoreinheit entstehen oder anders ausgedrückt: sie bezeichnen die Kosten der jeweils "letzten" Faktoreinheit. Da nur die variablen Kosten sich verändern, gehen auch nur diese in die Grenzkosten ein. Fixe Kosten werden nicht berücksichtigt.
Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes entsprechen im allgemeinen, das heißt bei proportionalen variablen Kosten, den variablen Durchschnittskosten. Weist jedoch die Funktion der variablen Kosten einen diskontinuierlichen Verlauf auf, weil beispielsweise ab einer bestimmten Grenze variable Abschreibungen entstehen, dann müssen die variablen Kosten der letzten Faktoreinheit zur Bestimmung der Grenzkosten herangezogen werden.
Externe Kosten Kosten, die nicht vom eigentlichen Verursacher, sondern von der Allgemeinheit getragen werden und deshalb nicht in den Marktpreisen enthalten sind, werden als externe Kosten bezeichnet.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?344804

Gedruckt am Sonntag, 22. September 2024 08:31:19