Energiespeicher an Bord von Schienenfahrzeugen
Erstellt am: 23.02.2011 | Stand des Wissens: 29.02.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Funktionsprinzip und Einsatzfelder
Insbesondere im Nahverkehr mit Dieselfahrzeugen, deren Betrieb durch einen häufigen Wechsel von Beschleunigungs- und Bremsvorgängen gekennzeichnet ist, wird heutzutage viel Energie in Wärme anstatt in Antriebsleistung umgewandelt. Energiespeicherlösungen können in diesem Einsatzfeld Einsparungseffekte von 10 bis 45 % erzielen, da mit deren Hilfe die Bremsenergie nahezu vollständig genutzt werden kann [SöZu07; GONZ13].
Im Bereich des Schienenverkehrs ist die Rekuperation, bei dem kinetische in elektrische Energie umgewandelt wird, mittlerweile weit verbreitet. Viele moderne Elektrotriebfahrzeuge können während des Verzögerungsvorgangs entstehende Energieüberschüsse ins Fahrleitungsnetz zurückspeisen. Vor allem bei Wechselstromsystemen lässt sich auf diese Weise wiedergewonnene Energie anderen Zügen zur Verfügung stellen. Für Gleichstrombahnen sind entsprechende Lösungen dagegen äußerst kostenintensiv. Mit Hilfe von bordeigenen (fahrzeugseitigen) oder ortsfesten (stationären) Speicherkomponenten lässt sich gewonnene Bremsenergie jedoch auch in diesen Fällen zielgerichtet nutzen. Die Energiespeicher ermöglichen einen autonomen Betrieb auf kurzen Streckenabschnitten ohne weitere bordeigene Energiequellen oder Oberleitungsversorgung bzw. stellen vorübergehend eine geringere Stromaufnahme aus dem Fahrdraht sicher. Einige fahrzeugseitige Lösungen zur Nutzung der Bremsenergie sind auch für dieselelektrische Fahrzeuge anwendbar.
Gegenwärtig lassen sich prinzipiell drei unterschiedliche schienenfahrzeugseitige Speichertechnologien differenzieren, welche auf dem Markt miteinander konkurrieren [Ditt10; StJo08]:
- Akkumulatoren (vereinfachend häufig auch als Batterien bezeichnet), wobei nacheinander Blei-, Nickel-Cadmium- und Lithium-Ionen-Akkumulatoren entwickelt wurden,
- Schwungradspeicher und
- Hochleistungs- / Doppelschichtkondensatoren, die häufig unter ihren Markennamen BoostCap, UltraCap und SuperCap in der Literatur zu finden sind.
Die vorgenannten Technologien unterscheiden sich maßgeblich hinsichtlich ihrer Energiedichte und ihrer Leistungsdichte. Abbildung 1 zeigt, dass moderne Lithium-Ionen-Batterien zwar die meiste Energie pro Kilogramm speichern können, Doppelschichtkondensatoren jedoch mehr Leistung abgeben können, wenn diese gefordert ist. Vor allem Dieselhybridtechnologien mit Lithium-ionen Batterien und Doppelschichtkompensatoren scheinen daher die besten Energiespeicherpotenziale zu bieten [Bomb09] [MEIN15] Die zur Nutzung empfohlene Technologie unterscheidet sich dabei je nach Ansprüchen, welche aus dem operativen Verkehrsbetrieb hervorgehen. [Hanz11, S. 33 ff.]

Hinsichtlich einer Verwendung der wiedergewonnenen Energie sind mehrere Betriebsmodi (Abbildung 2) denkbar:
[Witt02; SöZu07; GONZ13]
- Das Betreiben von Neben- und Hilfsaggregaten eines Zuges beim Halt am Bahnsteig. Auf diese Weise können Dieselmotoren beispielsweise aus Schallschutzgründen gedrosselt werden. Ebenso ist hierdurch ein emissionsfreier Betrieb von Verbrennungstriebfahrzeugen in Tunnelbahnhöfen möglich.
- Der Einsatz entsprechender Energiespeicher als Ergänzungstriebwerke. Mit Hilfe zusätzlicher Traktionsquellen können Höchstgeschwindigkeiten realisiert werden, welche das eigentliche Leistungsvermögen verbauter Dieselmotoren übersteigen. Bei Anfahrvorgängen trägt die Verwendung gespeicherter Energie zu einem reduzierten Primärenergiebedarf bei.
- Emissions- bzw. fahrdrahtunabhängiges Fahren in sensiblen Bereichen (z. B. historische Stadtbezirke, Bahnhöfe, Tunnel etc.). Dies eröffnet ebenfalls neue Möglichkeiten für die Wiedereinführung bzw. den Ausbau betreffender Straßenbahnnetze.
- Einsatz von Energiespeichern zur Mitigation möglicher technischer Probleme in den Oberleitungen, wie z.B. Spannungsabfälle oder erhöhter Energiebedarf während Spitzenverbrauchszeiten
[Witt02; SöZu07; GONZ13]

Im Hinblick auf eine systemspezifische Wirtschaftlichkeitsrechnung sind den Investitionen in die Energiespeicher Aufwandssenkungen entgegenzustellen, welche aus Treibstoff- bzw. Energieverbrauchs- und/oder Fahrzeitreduktionen resultieren. Für die Elektrotraktion sind - nach Herstellerangaben - bspw. jährliche Einsparungen bei der Traktionsenergie zwischen 30.000 EUR (Stadtbahn) und 150.000 EUR (U-Bahn) möglich [BOMB08]. Die Investitionen sind wie folgt aufgeschlüsselt:

Beispiele für Doppelschicht- und Superkondensatoren in Schienenfahrzeugen
Seit September 2003 werden bei der Mannheimer MVV Verkehr AG im täglichen Fahrgastverkehr Stadtbahnen mit dem MITRAC Energy Saver eingesetzt (Abbildung 3). Das von Bombardier Transportation entwickelte System erzielte jahreszeitabhängige Energieeinsparungen von bis zu 30 % [Sief10]. Für die ersten 2,5 Betriebsjahre konnte ein störungsfreier Betrieb attestiert werden [StSc06; Hope06]. Ist eine Stadtbahn mit zwei Geräten des Systems ausgestattet, kann sie über eine Distanz von 1.000 Metern allein mittels der zusätzlichen Energiequelle weiterfahren. Die MITRAC Energy Saver Lösung funktioniert auf rein elektrischer Basis und ist daher nach Herstellerangaben wesentlich weniger wartungsintensiv und sicherer als mechanische Speicher, wie beispielsweise Schwungräder [StSc06; SöZu07]. Im Jahr 2009 gingen bei der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (RNV) in Heidelberg zunächst sechs Niederflur-Gelenktriebwagen mit dieser Energiespeichertechnik in den Regelbetrieb, bis Mitte 2010 folgten dann weitere 13 Fahrzeuge. Wiederum 12 Fahrzeuge sind bestellt und gehen ab 2013 für die RNV in Mannheim in Betrieb [Uhle10].

Der spanische Hersteller Construcciones y Auxiliar de Ferrocarrile (CAF) produziert seit 2004 den Urbos, ein Niederflur-Gelenktriebwagen. Mit dem Urbos 3 besteht die Möglichkeit ein "Acumulador de Carga Rápida (ACR) also einen Superkondensator für oberleitungsfreie Abschnitte zu installieren. Der Superkondensator stellt eine Weiterentwicklung eines Doppelschichtkondensators dar. Er wird in dieser Anwendung innerhalb von 20 Sekunden im Haltestellenbereich geladen. Auch in Freiburg im Breisgau, als erste und einzige Stadt in Deutschland, kommen diese Bahnen zum Einsatz, jedoch ohne die ACR-Technologie [BAZ13]. Die ACR-Technologie wurde mit der Urbos 2 im spanischen Sevilla gestestet [TYK11].
Lösungsansatz Schwungradspeicher
Bei sog. Schwungradenergiespeichern handelt es sich um eine schnell rotierende Scheibe, welche mit einer elektrischen Maschine gekoppelt ist. Bremst das Fahrzeug, so treibt die freiwerdende überschüssige Energie die Schwungradscheibe an. Dabei wird elektrische Energie über den Motor in Rotationsenergie umgewandelt. Umgekehrt kann die Maschine des Schwungrades als Generator dienen und bei Bedarf Strom an den Fahrmotor abgeben. Neben erfolgreichen Anwendungen im Straßenbahnbereich wurde schwungradgestützte Rekuperation von Bremsenergie auch im LIREX (Leichter und Innovativer RegionalExpress), einem Innovationszug des Deutsche Bahn AG Konzern zur Anwendung gebracht [Mini00]. Dieses Fahrzeug fand keine Serienanwendung, gegenwärtig wird jedoch ein weiteres Projekt verfolgt, in dessen Rahmen die Diesel-Nahverkehrstriebwagen Siemens Desiro mit Energiespeichern aufgerüstet werden [Kett11]. Seit 2014 wird in der Citadis tram in Rotterdam ein Schwungradspeicher getestet. Das Schwungrad ist nach dem Williams Schema von 2009 konstruiert, welches aus Verbundmaterialien besteht und somit sicherer als ein Schwungrad aus Metall ist. Durch das geringere Gewicht kann dieses somit auch in dem Dachkonstrukt installiert werden [RGA13].
Trotz bedeutend geringerer Haltestellendichte kann eine Nutzung von Schwungradspeichern auch im Fernverkehr lohnenswert sein. Vor allem bei Streckenabschnitten, die relativ große Fahrgeschwindigkeitswechsel aufweisen, lässt sich zwischengespeicherte Bremsenergie effizient im Rahmen nachfolgender Beschleunigungsvorgänge verwenden. Grundsätzlich ist auch der Einbau in elektrische Triebfahrzeuge denkbar, wenn fahrzeugseitige Speicher einen höheren Wirkungsgrad erzielen als eine Rückspeisung in das Versorgungsnetz. [BaTe00b]
Der Ausrüstung von Bahnsystemen mit Energiespeichern steht momentan noch ein erheblicher Anschaffungs- und Instandhaltungsaufwand entgegen. Die Chancen für einen wirtschaftlichen Einsatz wachsen jedoch mit den steigenden Kraftstoffpreisen und der (zunehmenden) Serienfertigung der erforderlichen Komponenten. [Witt02].
Akkumulatoren im Praxiseinsatz
In Nizza ist seit 2007 ein entsprechendes Batteriesystem in CITADIS Niederflurstraßenbahnen von Alstom Transport eingebaut und im Fahrgasteinsatz; in Paris wird das Konzept seit 2009 getestet [Leno07; SöZu07]. Einen Schwungradspeicher setzt auch die VAG seit einigen Jahren zum Laden von Straßenbahnen ein. [FVAG16] Auch für das Laden elektrischer Busse ist ein Pilotprojekt in Hessen am Laufen, wo Elektrobusse binnen 150 sec die Energie für eine gesamt Tour laden können. [VDE23]
Kawasaki testete eine oberleitungsfreie Stadtbahn Swimo in der japanischen Stadt Sapporo. Die Kawasaki Gigacell Nickel-Metallhydrid-Batterien können innerhalb von 5 Minuten komplett aufgeladen werden und reichen auf einer Streckendistanz von bis zu 10 km [TYK11]. Abbildung 4 stellt das Energiemanagement auf Triebfahrzeugen mitgeführter Speichersysteme schematisch dar.

Sogenannte Traktionsakkumulatoren können auch in Triebzügen des Schienenpersonennah- und -fernverkehrs eingesetzt werden. Es sind Anwendungen sowohl für die Diesel- als auch die Elektrotraktion denkbar [Faßb12].