Verkehrstelematik - Überblick
Erstellt am: 16.01.2011 | Stand des Wissens: 05.03.2025
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Prof. Dr.-Ing. Plank-Wiedenbeck
Telematik ist ein künstlich zusammengesetzter Begriff aus Telekommunikation und Informatik. Sie umfasst integrierend neben technischen Aspekten die sozialen, ökonomischen und ökologischen Implikationen des Informationsaustausches (Telekommunikation) und der Informationsverarbeitung (Informatik). Damit ermöglichen Telematik-Systeme und -Dienste eine wirkungsvolle Verknüpfung von Unternehmen untereinander und die Bereitstellung eines globalen durchgängigen Informationsflusses. Daraus abgeleitet umfasst Verkehrstelematik alle Produkte und Dienstleistungen, die die Steuerung und Informationen von Fahrzeugen und ihren Benutzern zum Ziel haben [Baerw09]. Das heutige Begriffsverständnis umfasst alle Verkehrsträger, alle Verkehrsteilnehmergruppen, Mobilitätsdienste und inner- wie außerstädtische Anwendungen des Verkehrsmanagements. Insbesondere im internationalen Sprachgebrauch ist zu beachten, dass hier häufig unter Telematik nur die fahrzeugbezogenen Assistenz- und Leitsysteme verstanden werden, die auf einer Kommunikation mit zentralen oder infrastrukturseitigen Einrichtungen basieren. Der allgemeinere, dem deutschen Begriffsverständnis entsprechende internationale Terminus lautet Intelligent Transport Systems (ITS) und ist seit ungefähr 2008 auch in der deutschen Übersetzung Intelligente Verkehrssysteme (IVS) gebräuchlich.
Nach Definition der Europäischen Union sind IVS "hochentwickelte Anwendungen, die (ohne Intelligenz an sich zu beinhalten) darauf abzielen, innovative Dienste im Bereich verschiedener Verkehrsträger und des Verkehrsmanagements anzubieten, und die verschiedenen Nutzer mit umfassenderen Informationen zu versorgen und sie in die Lage zu versetzen, die Verkehrsnetze auf sicherere, koordiniertere und "klügere" Weise zu nutzen. IVS kombinieren Telekommunikation, Elektronik und Informationstechnologie mit Verkehrstechnik zu dem Zweck, Verkehrssysteme zu planen, zu konzipieren, zu betreiben, zu warten und zu steuern [EU 2023/2661, S. 1]." Diese Richtlinie wurde zum 22.11.2023 überarbeitet, um den technischen Fortschritten seit der ersten Einführung Rechnung zu tragen. Die wesentlichen Neuerungen zielen darauf ab neu entstandene Dienste einzubeziehen und die Ziele der Digitalisierung auszuweiten [EuRa23].
Treiber für Telematik-Anwendungen sind nach [Kra12] sowohl Entwicklungen in der Computer- und Kommunikationstechnik als auch wirtschafts-, umwelt- und geopolitische sowie soziale Rahmenbedingungen.
In der Computertechnik sind folgende Entwicklungen zu beachten:
- Miniaturisierung von Computern ermöglicht Ausrüstung mobiler Objekte
- Preisverfall ermöglicht leistungsfähige Bordcomputer
- Permanente Zugangsmöglichkeiten zu Informationen über mobile Endgeräte und das Internet
Die Kommunikationstechnik berücksichtigt:
- leistungsfähige Datenübertragung durch Mobilfunkdienste
- Verfügbarkeit digitaler Bündelfunksysteme
- zunehmende Präzision von Mobilfunk- und satellitengestützter Ortung und Navigation
Folgende Rahmenbedingungen gelten:
- Trend zur Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur
- zunehmende Vernetzung der Verkehrsträger (Multimodalität, intermodale Verkehrsketten)
- Bedeutungsgewinn von Sicherheitsaspekten
- Bedeutungsgewinn von Flexibilität und Zuverlässigkeit bei der Leistungserstellung
Die grundlegenden Ziele des Einsatzes von Verkehrstelematik sind [FGSV02]:
1. effiziente und verträgliche Abwicklung des Verkehrs
2. Verlagerung des Verkehrs (räumlich, zeitlich, modal)
3. Verringerung von Verkehrsaufwänden und Vermeidung von Verkehrsaufkommen
Die größten Wirkungspotenziale bestehen im Hinblick auf die ersten zwei Ziele, da sie hauptsächlich die Verkehrsmittelwahl, die Routenwahl und den Reiseverlauf beeinflussen. Im dritten Zielfeld hat sie eine sekundäre Bedeutung, da hier Maßnahmen der Siedlungs- und Verkehrsplanung ihre primäre Wirkung entfalten [Kra12].
1. effiziente und verträgliche Abwicklung des Verkehrs
2. Verlagerung des Verkehrs (räumlich, zeitlich, modal)
3. Verringerung von Verkehrsaufwänden und Vermeidung von Verkehrsaufkommen
Die größten Wirkungspotenziale bestehen im Hinblick auf die ersten zwei Ziele, da sie hauptsächlich die Verkehrsmittelwahl, die Routenwahl und den Reiseverlauf beeinflussen. Im dritten Zielfeld hat sie eine sekundäre Bedeutung, da hier Maßnahmen der Siedlungs- und Verkehrsplanung ihre primäre Wirkung entfalten [Kra12].
Die Nutzung der Verkehrstelematik für diese Ziele ist sehr vielfältig und erfordert eine Vielzahl von Diensten, Anwendungen und Systemen [Kra12]:
- Pre-Trip-Informationssysteme ermöglichen es dem Fahrzeugführer und dem Reisenden bereits vor Fahrtantritt, sich über Fahrtmöglichkeiten und aktuelle Verkehrssituationen zu informieren.
- On-Trip-Informationssysteme ermöglichen es, sich während der Fahrt über die aktuelle Verkehrssituation zu informieren. Dies betrifft im Straßenverkehr die individuelle Routenführung mit Navigationssystem sowie aktuelle Verkehrsmeldungen über die Medien (beispielsweise Verkehrsfunk). Durch die Verfügbarkeit leistungsfähiger mobiler Endgeräte finden zunehmend Location Based Services (LBS) Verbreitung. Dabei werden dem Nutzer Informationen in Abhängigkeit von seinen über Zellortung im Mobilfunknetz oder Global Positioning System (GPS)-Ortung bekannten aktuellen Standort bereitgestellt.
- Kollektive Verkehrsbeeinflussungssysteme sind insbesondere im Straßenverkehr im Einsatz. Beispiele hierfür sind Wechselwegweiser-Einrichtungen, Lichtsignalanlagen (LSA) oder Parkleitsysteme. Diese Anlagen sind häufig Bestandteil von Verkehrsmanagementzentralen in Ballungsräumen oder Regionen.
- Telematikgestützte Verkehrssicherungssysteme beziehen sich insbesondere auf Anwendungen zur automatischen Abstandsregelung, Hinderniserkennung und Kollisionsvermeidung. Hier gibt es insbesondere im nicht-öffentlichen Verkehrsraum (Luftverkehr, Schienenverkehr) als auch beim motorisierten Individualverkehr zahlreiche Anwendungsbeispiele. Durch Fahrassistenzsysteme (FAS) wird bereits aktiv die Verkehrssicherheit im Straßenverkehr verbessert. Mit steigendem Anteil von Teilautomatisierten Fahrzeugen nimmt die Bedeutung dieser Systeme weiter zu.
- Das Notallmanagement profitiert von der Verkehrstelematik insbesondere durch die Möglichkeit, während der Fahrt den Zustand von Fahrzeug und Ladung, aber auch Fahrer oder Insassen zu überwachen sowie bei gefährlichen Situationen und Notfällen genaue Positionsangaben an die Einsatzkräfte melden zu können.
- Die verkehrsträgerübergreifende Anschlusssicherung sowie die Fahrgast-oder Kundeninformation sind ein wichtiges Qualitätsmerkmal intermodaler Reise- und Transportketten.
- Verkehrskontrollen und Gebührenerhebung werden im Straßenverkehr durch stationäre und fahrzeugbezogene Einrichtungen (On-Board-Units) bei Anwendungen wie Lastkraftwagen-Maut oder Road Pricing unterstützt.
Die technologischen Komponenten der Verkehrstelematik umfassen folgende Technologien:
- Die Datenerfassung erfolgt mit Hilfe von ortsfesten und mobilen Sensoren. Die ortsfesten Sensoren sind Bestandteile der Infrastruktur, während die mobilen Sensoren Fahrzeugkomponenten, Systeme zur Satellitenortung und mobile Endgeräte von Personen sein können.
- Die Datenübertragung basiert auf den vielfältigsten Technologien der Telekommunikation unter Beachtung der Verfügbarkeit der Systeme, aber auch der Sicherheit beim Übertragen sensibler Daten.
- Die Datenverarbeitung ist stark anwenderspezifisch.
- Bei der Datenhaltung gibt es Bestrebungen über eine Standardisierung von Datenstrukturen auf nationaler und europäischer Ebene und über den Aufbau von Datenplattformen, die Austauschbarkeit von Daten zwischen verschiedenen Anwendungen zu sichern. Die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bildet im europäischen Raum bereits eine rechtliche Grundlage zur übergreifenden Verwendung dieser Daten. Dies soll durch den europäischen Mobilitätsdatenraum (EMDS) weiter vereinheitlicht und ausgebaut werden [EuKo24b].
- Die Visualisierung der Information für den Nutzer und gegebenenfalls die Interaktion zwischen Nutzer und System erfolgt entweder kollektiv, in der Regel über infrastrukturseitig installierte Systeme, oder individuell unter Nutzung von mobilen Endgeräten oder in den Fahrzeugen.
Vor allem getrieben durch den rasanten Fortschritt im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, die zunehmende Internationalisierung der Verkehrstechnik und die veränderten gesellschaftspolitischen Einstellungen zum Verkehr lassen sich folgende Trends auf dem Gebiet der Verkehrstelematik erkennen:
- fortschreitende Harmonisierungs- und Standardisierungsbemühungen auf physischer und funktionaler Ebene
- verstärkte Vernetzung von Fahrzeugen (und mobilen Endgeräten allgemein) untereinander und mit der Infrastruktur (kooperative Systeme)
- Zunahme der Verknüpfung der Modi und Herstellen von Interoperabilität zwischen Systemen und Modi
- Zunahme privater und öffentlich-privater Dienste mit entsprechender Verlagerung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten für Maßnahmen des Verkehrsmanagements.