Voll- und Grenzkostenpreise
Erstellt am: 06.12.2010 | Stand des Wissens: 26.06.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Grenzkostenpreise: Der Preis hat die Höhe der Kosten, die durch eine zusätzlich hinzutretende Einheit entstehen. Da die Nutzerkosten bereits durch die Nutzer getragen werden (individuelle Grenzkosten), ist eine Bepreisung zu Grenzkosten entweder als eine Bepreisung zu Grenzkosten der Infrastruktur oder auch als eine Bepreisung zu Grenzkosten der Infrastruktur zuzüglich externer Staugrenzkosten und Umweltgrenzkosten zu verstehen. Letzteres bezeichnet das "marginal social cost pricing". Die Bepreisung zu kurzfristigen sozialen Grenzkosten wird als wohlfahrtsmaximal angesehen [Aber09a, S. 332]. Aus diesem Grund wird im Weißbuch für faire und effiziente Preise für die Verkehrsinfrastruktur der EU von 1998 [KOM98] vorgeschlagen, die sozialen Grenzkosten als Grundlage für die Preisbildung heranzuziehen.
Bei einer unzureichend dimensionierten - also verstauten - Infrastruktur würden vor allem die Erlöse aus den marginalen externen Staukosten eine Refinanzierung der Infrastruktur gewährleisten. Bei einer ausreichend dimensionierten Infrastruktur jedoch würden durch Grenzkostenpreise die fixen Kosten der Infrastruktur nicht mehr gedeckt. Insbesondere auf Fernverkehrswegen und in dünn besiedelten Regionen führt eine Grenzkostenbepreisung nicht zur Deckung der gesamten Kosten. Die übrigen Kosten müssen aus anderen Quellen gedeckt werden. Dies ist jedoch nicht kompatibel mit dem "user-pays Prinzip". Insbesondere führt dies zu Verzerrungen in der langfristig optimalen Infrastrukturbereitstellung aufgrund folgender Sachverhalte:
- Es gibt keinen Anreiz, eine verstaute Infrastruktur auszubauen, denn dadurch würde sich ein Betreiber die Refinanzierungsgrundlage zerstören.
- Gut ausgebaute Infrastruktur, die Subventionen zur Vollkostendeckung erhält, entzieht anderen nutzerfinanzierten Infrastrukturen die Kundenbasis und es entstehen Fehlanreize in der gesamten Netzentwicklung.
Vollkostenpreise: Die Gebühren fallen hier in einer Höhe an, die die dauerhafte Vorhaltung der Infrastruktur auf einem vorher definierten Niveau zu finanzieren in der Lage ist. Sie wird in einigen Regelwerken vorgeschrieben, so zum Beispiel bei der Festlegung von Lkw- Mauten [2011/76/EG]. Die Umlage der Kosten auf die einzelnen Nutzer kann auf verschiedene Weise erfolgen. In diese Vollkostenaufteilung gehen zwangsläufig Annahmen und Prinzipien ein. Die Wegekostenrechnung in Deutschland versucht, die Infrastrukturkosten verursachergerecht auf die verschiedenen Nutzer umzulegen. Fahrten mit verschiedenen Fahrzeugen belasten die Straße hinsichtlich verschiedener Kriterien in unterschiedlichem Maße. Wenn nun sehr fein für unterschiedliche Bauwerksformen und Einflussgrößen differenziert ermittelt wird, welche Kosten einer solchen Fahrt genau zuordenbar sind, spricht man von activity based costing. Das gewählte Allokationschema kann alternativ auch durch Konzepte aus der kooperativen Spieltheorie abgeleitet werden [BMVBS07z].
Der einzelne Nutzer muss nicht notwendigerweise mit seinen Durchschnittskosten belastet werden. So sieht die EU-Richtlinie 2011/76 ausdrücklich eine Differenzierung nach Umweltgesichtspunkten vor. Auf diese Weise kann eine Bepreisung, die das Ziel der Vollkostendeckung hat, zusätzliche Steuerungssignale zu Verhaltensanpassungen übermitteln.
Obwohl die EU Kommission im Weißbuch für faire und effiziente Preise für die Verkehrsinfrastruktur der EU von 1998 [KOM98] vorgeschlagen hat, die sozialen Grenzkosten als Grundlage für die Preisbildung heranzuziehen, bieten die zur Festlegung von Gebühren maßgeblichen Richtlinien auch die Möglichkeit zu einer Vollkostenbepreisung.